Es begann mit einem Ausflug
Unser Projekt Terra Buona hat Geschichte und ist mit den Leben vieler Menschen verbunden. Für mich, Damiano, begann die Geschichte 1976, als ich im Alter von 16 Jahren an einer Romfahrt teilnahm und von Rom aus mit der Gruppe einen Tagesausflug nach Assisi machte. Dieser Tag veränderte und prägte mein künftiges Leben und legte gewissermaßen den Grundstein für die Übernahme von Terra Buona 40 Jahre später am 7. Oktober 2016. Der Besuch in Assisi entzündete ein Feuer und eine Liebe für Franziskus und seine Heimatstadt, die mich nicht mehr losließ. Von dem Menschen Franziskus, der 800 Jahre vor mir lebte, wehte ein Geist in meine Gegenwart, der mich bewegte und mir Antworten auf Fragen gab, die ich mir selber noch gar nicht stellte. Ich traf damals die Entscheidung, jedes Jahr mindestens einmal nach Assisi zu fahren, was mir bis Ende der 80er Jahre gelang. Die Stadt wurde mir zur Heimat. Franziskus war Gottsucher, Rebell und ein radikaler Christ. Das entsprach meinem Lebensgefühl und meiner Ausrichtung.
San Masseo – Traum von franziskanischem Leben
Als ich 1981 den Plan fasste, nach meinem Zivildienst ein halbes Jahr zu verreisen, um meinen weiteren Lebensweg klarer sehen zu können, erzählte mir Wilfried Schumacher, mein Freund und priesterlicher Begleiter, mit dem ich meine Franziskus-Liebe teilte und immer noch teile, von einem Projekt bei Assisi, das von Bruder Bernardino ins Leben gerufen wurde, den wir 1976 bei einer geistlichen Führung durch San Damiano in Assisi kennengelernt hatten. Der Franziskanerpater hatte begonnen, einen alten Bauernhof, dessen Grundmauern zu einer Kirche aus dem 11. Jahrhundert gehörten, wieder aufzubauen und
ein geistliches Begegnungszentrum für Jugendliche zu gestalten: San Masseo. Sofort wusste ich, dass mich meine Reise dorthin führen würde. Sieben Wochen blieb ich in San Masseo und entwickelte eine starke Verbindung zu diesem Ort, an dem zeitweise mehr als hundert meist junge Menschen lebten. Bei aller Verschiedenheit verband uns das Feuer der Suche, das in unseren jugendlichen Herzen brannte. Ich lernte in San Masseo einen Gemeinschaftsweg kennen, der einerseits klösterliche Aspekte enthielt und andererseits offen war für die individuellen Lebensentwürfe der Menschen, die dort zusammen lebten. Der Tagesablauf war ein rhythmischer Wechsel von Zeiten des Gebets und dezur Schöpfung und konkreter Realisierung der Liebe zu Gott und den Menschen geprägt ist. In dieser Zeit musste ich auch schmerzlich feststellen, dass dort, wo das Licht ist und Begeisterung entsteht, auch Schatten und Verletzung anzutreffen sind. Die Idealisierung von menschlichen Lehrern beinhaltet unmittelbar die Möglichkeit der Enttäuschung. Aber was ist Ent-Täuschung
anderes, als eine Befreiung von einer Illusion? Die Illusion, von der ich befreit wurde, war die Annahme, dass ich das, was ich suchte, im Außen bei anderen Menschen, die klüger, weiter, konsequenter usw. erschienen, finden würde. Und so war ich tatsächlich bei Franziskus angekommen, der immer wieder auf die einzige Autorität seiner Lebensentscheidungen verwies: Christus selber.
(1983 drehte Hans-Georg Peschke für den NDR einen Film über San Masseo: Aussteiger auf Zeit)
Begegnung mit Terra Buona
In San Masseo lernte ich auch Herbert kennen. Der Gemüsegärtner aus Vorarlberg war kürzlich von einem Aufenthalt als Entwicklungshelfer in Papua-Neuguinea zurückgekehrt und war in San Masseo gelandet. Dort übernahm er als erster fester Mitarbeiter von Bernardino die Aufgabe, Gärten zu anzulegen und sie gemeinsam mit den „Gästen“ zu pflegen. Doch schon 1981 fand er einen abgelegener Bergbauernhof bei Armenzano 10 km von Assisi entfernt hinter dem Monte Subasio, den er durch wunderbare Unterstützung kaufen konnte. Im November zog er dort ein und nannte den Ort „Terra Buona“, die gute Erde. Es sollte ein Platz werden, an dem sich ähnlich wie in San Masseo Menschen eine Weile abseits vom Alltag in die Stille zurückziehen, arbeiten und gemeinschaftlich zusammen leben können. Im September 1982 fuhr ich gemeinsam mit einem Freund zu einem „Arbeitseinsatz“ nach Terra Buona, um Herbert bei den Renovierungsarbeiten zu helfen. Bei der Gelegenheit bauten wir eine Dusche ein, obwohl es im Haus noch kein fließendes
Wasser gab. Ich erzähle diese Geschichte gerne, denn es erscheint mir so bezeichnend für dieses Projekt und so viele andere dieser Art, wo zu Beginn eine Vision entsteht und jemand den Mut hat, anzufangen, auch wenn die Bedingungen noch nicht dem entsprechen, was dieser Mensch in seiner Utopie tatsächlich sieht. Es gab in den folgenden Jahren noch einige Besuche bei Herbert, aber dann rückte Terre Buona in den Hintergrund meines weiteren Lebens.
Terra Buona blühte auf. Viele Menschen lebten dort mit Herbert und genossen mit großer Wertschätzung seine liebevolle Gastfreundschaft. Die Gästebücher sind voll von Liebe und Dankbarkeit für wichtige Lebenszeiten und die Gemeinschaft, die Herbert in seiner unvergleichlichen Art entstehen ließ. Schafe und andere Nutztiere belebten den Platz und sorgten auch dafür, dass die Arbeit nicht ausging.
Das Erdbeben 1997 machte das Haus unbewohnbar. 6 Jahre dauerte der Wiederaufbau, in denen Herbert in einem Wohncontainer lebte und auch dort das Gemeinschaftsleben lebendig hielt. Seither erstrahlt das Haus in erdbebensicherer Schönheit.
Terra Buona wieder entdeckt – das Wunder beginnt
Als ich 2015 mit einigen Menschen in Assisi war, um von Franziskus zu erzählen und seinen Geist zu vermitteln, tauchte Terra Buona wieder in meinem Bewusstsein auf. Zunächst bei einer Fahrt über den Monte Subasio, bei der ich Solveig von Herbert und dem Platz erzählte. Wir wären auf der Rückfahrt beinah bei Armenzano abgebogen, um Herbert zu besuchen, wenn ich es nicht vorgezogen hätte, den Sonnenuntergang in Assisi zu betrachten. Am Vorabend meiner Rückreise – die Teilnehmer der Gruppe waren schon abgereist – entdeckte ich im Schaufenster einer Immobilien Agentur ein Foto, auf dem ich sofort das Haus von Terra Buona erkannte. Die Anzeige war unmissverständlich: Terra Buona wird verkauft. Am nächsten Morgen, dem 10. November 2015, machte ich mich mehr aus Neugier, als aus Kaufabsichten auf den Weg nach Armenzano. Ursprünglich wollte ich mir ein Haus anschauen, das mir von der Agentur empfohlen wurde, was sich aber als zu abgelegen erwies. Auf der Rückfahrt kam ich an einem Straßenschild vorbei, das den Weg nach Armenzano wies und ich bog kurz entschlossen ab. Dort anzukommen war aufregend und vertraut zugleich. Die Olivenernte war in vollem Gange. Als im Eingangsbereich des Hauses durch das Fenster schaute, staunte ich nicht schlecht. Denn dort saß am Küchentisch Winfried Pilz, ein Priester, mit dem ich ab meinem sechsten Lebensjahr vier Jahre tagtäglich nach der Schule am Mittagstisch saß, weil meine Mutter seinen Haushalt führte und für ihn kochte. Ich bewunderte ihn als Kind und er inspirierte mich zu dem Wunsch, Priesters zu werden. Auch uns verband spätestens seit einer gemeinsamen Reise nach Assisi die Liebe zu Franziskus. Er war einer Einladung gefolgt und auf einigen Zufallswegen nach Terra Buona gekommen. Und so begegneten wir uns hier wieder. Von Herbert erfuhr ich, dass er sein Anwesen aus gesundheitlichen Gründen verkaufen will. Augenblicklich brannte in mir das Feuer und der Wunsch, diesen Platz mit seiner wilden und unberührten Natur zu übernehmen und endlich den Traum zu verwirklichen, der seit meiner Zeit in San Masseo in mir lebendig geblieben war. Herbert war über diesen Gedanken sehr erfreut. Sein Wunsch war es, jemanden zu finden, der Terra Buona in seinem Sinne weiter führen würde.
Vom Traum zur Wirklichkeit
Mein Heimweg nach Deutschland glich einem Tiefflug mit wildem visionärem Wind unter den Schwingen. Solveig reagierte auf die Bilder und die Erzählungen mit großer Freude und Zustimmung. Sie hatte einen tiefen visionären Eindruck, dass die Steine von Terra Buona singen und das als Bestätigung empfand, dass dies der Ort ist, der uns ruft. Nun blieb nur noch die leidliche Frage zu klären, wie wir das Projekt finanzieren würden. Eine Freundin und Teilnehmerin in unseren Gruppen kam uns in den Sinn, die über Geldmittel verfügt, die sie in der Vergangenheit ähnlichen Projekten zur Verfügung gestellt hat. Wir erzählten ihr von dem Plan und überlegten verschiedene Modelle von privater oder gemeinschaftlicher Finanzierung, Vereins- oder Stiftungsgründung. Letztlich kam es aber nicht dazu, dass sie uns zu diesem Zeitpunkt eine Zusage machen konnte, so dass wir andere Möglichkeiten erkunden mussten. Wir waren parallel zu den wirtschaftlichen Fragen auch mit unserem inneren Prozess beschäftigt: Wollen wir uns auf eine derart einschneidende Lebensveränderung einlassen? Wie können wir ein Leben gestalten, das wir an zwei Orten verbringen mit zwei Häusern, die wir Menschen zur Verfügung stellen, mit unserer Arbeit als Gestalttherapeuten und Fortbildungsleiter, als Eltern zweier Kinder, Vorstand einer Schule etc.? Wo wollen wir unseren Lebensmittelpunkt haben? Für mich war klar, dass Terra Buona die vollkommene Realisierung meines größten und intensivsten Traums werden könnte, der mich seit fast vier Jahrzehnten begleitete: Einen Platz inmitten der Natur zur Verfügung zu haben, wo Menschen auf dem Weg ihrer Suche und Lebensgestaltung innehalten können, um tiefer zu ergründen, was ihre geistlichen Wurzeln sind und was sie im Leben bewegt. Aber damit waren wir noch nicht bei der Verwirklichung des Traums im materiellen Sinne.
Und dann kommt es anders
Zum Jahresende fuhren wir mit Freunden nach Assisi, damit Solveig Terra Buona sehen und fühlen konnte, um eine Entscheidung zu treffen, ob wir tatsächlich, gemeinsam als Familie das Abenteuer wagen würden. Wir verbrachten mit Johannes-Peter (der übrigens den Impuls zu der Assisireise im November gegeben hatte) und Isabell Sylvester und Neujahr in Assisi und besuchten Herbert, der uns viel von der Terra-Buona-Geschichte erzählte. Die Zeit auf dem Land nutzten wir, um zu spüren und in die winterliche Landschaft einzutauchen. Solveig sah sich in ihrer ersten intuitiven Ahnung bestätigt und erlebte nun mit den Füßen auf der Erde stehend ihre Verbindung und Liebe zu dem Land und zu den Gebäuden, so dass wir ein klares Ja aussprechen konnten. Im März erfuhren wir von Herbert, dass es potentielle Käufer gäbe und ein Termin für die Unterzeichnung des Vorvertrages feststünde. Wir hätten noch 5 Tage Zeit, unsere Entscheidung zu treffen und wir wären eindeutig seine erste Wahl, aber vorwiegend wolle er jetzt verkaufen. Davon angespornt, nutzten wir alle Kommunikationsplattformen, die uns zur Verfügung standen – von Newsletter bis facebook -, um kurzfristig Geld zu generieren und die Finanzierung zu ermöglichen. Tatsächlich fanden wir Menschen, die ihre Bereitschaft signalisierten, uns höhere Beträge zur Verfügung zu stellen, aber letztlich, war der Zeitfaktor nicht auf unserer Seite. So entschieden wir uns, loszulassen und auf Terra Buona zu verzichten.
Einige Tage später erhielten wir einen Anruf von Herbert, der uns folgende Geschichte erzählte: Am Morgen des Tages der Vertragsunterzeichnung war er, einem inneren Impuls folgend, noch einmal in die Kirche Santa Chiara in Assisi gegangen, um vor dem Kreuz, vor dem Franziskus in den Zeiten seiner Ungewissheit gebetet hat, noch einmal um eine klare Entscheidung zu bitten und dafür zu beten, dass er Terra Buona an den richtigen Käufer weitergeben möge. Das Kreuz stand ursprünglich in San Damiano, ein Kirchlein, das Franziskus nach einer Vision wieder aufgebaut hatte. Und jener Tag der Vertragsunterzeichnung war der Festtag des Heiligen Damian. Dann fanden die Vertragsformalitäten statt. Als es dann zur Unterschrift kommen sollte, stockte Herbert. Das bemerkte seine Begleiterin, die ihm vorschlug, die Entscheidung noch eine Nacht zu überschlafen. Das fand Herbert eine gute Idee und äußerte seinen Wunsch, sich nach vierundzwanzig Stunden noch einmal zu treffen, um dann zu unterschreiben. Das löste bei den potentiellen Käufern, die tatsächlich nicht diejenigen waren, mit denen Herbert die Wochen zuvor kommuniziert hatte, eine gewaltige Wutwelle aus. Herbert sagte, es hätte nicht viel gefehlt und es wäre zu körperlicher Gewalt gekommen. Nachdem er sich das Donnerwetter 20 Minuten angehört hatte und sich wie eingefroren fühlte, packte ihn seine Begleitung am Arm und zog ihn aus dem Büro. Damit war der Verkauf geplatzt.
Wieder standen wir neu vor der Frage: Sollen wir uns auf das Abenteuer einlassen. Wir bekamen eine neue Chance, mehr Zeit und Zeichen, die immer deutlicher darauf hinwiesen, dass wir als zukünftige Besitzer von Terra Buona vorgesehen sind.
So gingen wir weiter mit neuer Entschiedenheit, aber ohne die finanziellen Mittel. Mit jedem gescheiterten Versuch, eine wirtschaftliche Basis für das Projekt zu schaffen, schien es klarer zu werden, dass wir nicht in er Lage sein würden, den Traum Realität werden zu lassen. Ein Paradox: Alles wies eindeutig auf uns, aber wir sahen uns vor unüberwindbaren materiellen Hindernissen. Nur die schmerzliche Entscheidung zu treffen und Herbert mitzuteilen, dass wir nicht mehr als Käufer in Frage kämen, konnten wir noch nicht über unsere Herzen bringen.
Das Wunder
Nach Ostern kam die Wende: Unsere Freundin, mit der wir anfangs wegen des Geldes im Gespräch waren und die unseren bewegten Prozess beobachtet hatte, fragte uns sonntags am Ende eines Seminars buchstäblich zwischen Tür und Angel wie es eigentlich mit Terra Buona aussähe. Wir beschrieben ihr die Situation und dass wir uns nicht in der Lage sähen, das Projekt wirtschaftlich zu realisieren. Ihre Antwort war einer jener Momente, in denen sich plötzlich Türen am Himmel auftun und das Leben Quantensprünge zu vollführen scheint: Was wäre denn, wenn ich euch das Geld geben würde, sagte sie. Das war der Funke, der das Feuer für Terre Buona nun unlöschbar auflodern ließ. Na klar wären wir dabei! Nun vergingen noch zwei Tage, in denen Dinge geklärt und abgefragt werden mussten und ich war nicht sicher, ob ich mich inmitten einer farbigen Illusion befand und ob ich mich nicht verhört hatte und ob es sich nicht um eine hypothetische Frage gehandelt hatte, bis dienstags – es war der 10. Mai, genau ein halbes Jahr noch meinem Besuch bei Herbert – das Telefon klingelte und ich den Satz hörte: Ich gebe euch das Geld. In dem Moment verstand ich, warum Menschen sich bei manchen Botschaften hinsetzen müssen. Ich musste mich setzen. Nun war nicht nur der Himmel offen, sondern eine ganz Schar von Engeln war dabei, einen Weg für das Projekt Terra Buona zu bereiten.
Nun galt es, die Form zu finden, in der wir das Anwesen übernehmen würden und wirksam werden könnten. Der erste Impuls, eine Stiftung zu gründen, erwies sich nach näherem Hinsehen als zu kompliziert, die Vereinslösung schied auch aus. Die Lösung, die wir mit unserer Freundin entwickelt haben ist eine Mischung aus geschenktem Kapital und einen Privatdarlehen mit sehr günstigen Konditionen, die uns wirtschaftlich nicht in die Enge treiben, trotzdem aber deutlich machen, dass wir auch finanziell in eine Verantwortung gehen, die uns herausfordert und Engagement verlangt. Darüber sind wir sehr glücklich und dankbar!
Terra Buona in unsere Hände gelegt
Der Kauf zögerte sich dann noch einmal bis zum 7. Oktober 2016 heraus. An diesem Tag trafen wir uns mit Herbert und seinen Freunden, die ihn treu und liebevoll mit Sachkompetenz und Herzenswärme begleiteten, in Bozen beim Notar (in Südtirol spricht man Italienisch und Deutsch) und leisteten etwa 25 Unterschriften. Mit so vielen Namenszügen auf den Papieren, wird der Vertrag bestens halten. Entscheidend ist allerdings unser Ja zu diesem wunderbaren Stück Land, zu den Pflanzen, Tieren und Wesenheiten, die Terra Buona bevölkern, zu den Gebäuden, den Nachbarn, die uns gastfreundlich willkommen heißen und schließlich unser Ja zu dem Ruf, den wir vernommen haben und dem wir folgen, begleitet von Franziskus, dessen Präsenz uns schlussendlich an diesen Ort geleitet hat.
Am Abend der Unterzeichnung des Kaufvertrages kamen wir spät, angestrengt und überglücklich in Terra Buona an. Morgens hatte Herbert das Haus verlassen und abends zogen wir ein. Da wir im Sommer schon einige Wochen hier gelebt hatten, fühlten wir uns mit dem Haus und den praktischen Dingen vertraut. Die Hunde begrüßten uns freudig und auch die Katze kam, um ihr Futter zu bekommen. Es war traum-haft im wahrsten Sinne des Wortes. Wie im Zustand des Aufwachens in den frühen Morgenstunden zwischen Traum und Wirklichkeit noch nicht klar unterschieden werden kann, waren die ersten Tage in Terra Buona fast unwirklich. Das Ankommen erschien mir, als wenn sich innere und äußere Lebenswirklichkeiten, Vergangenes und Gegenwärtiges, langsam übereinander schieben und in Übereinstimmung kommen würden. Ein merkwürdiges Erleben. Im Wunder der Geburt meiner beiden Söhne durfte ich das Hervortreten von neuem Leben in seiner Tiefe erfahren. In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder, wie Menschen Transformationsprozesse durchleben und aus alten Verwicklungen in eine neue Lebenswirklichkeit eintreten. In den Tagen auf Terra Buona erlebte ich einen ähnlichen Verwandlungsprozess.
Gleichzeitig war Vergangenes gegenwärtig: In den Unterlagen fand ich alte Liedblätter aus San Masseo mit Liedern, die mich seither begleiten. Ich fand die italienischen Stundenbücher und Liedtexte, die in San Damiano auslagen, wo wir fast täglich morgens und abends das Stundengebet mit den Franziskaner-Brüdern sangen. Ich entdeckte in Herberts Fotosammlung ein Foto von mir als 21-Jähigen mit ihm auf dem Traktor von San Masseo. Die Betten in denen wir schliefen, der Backofen im Garten und die Öfen im Haus sind von Franz gebaut, der in San Masseo die Betten zimmerte und mit dem ich einen Sonnenkollektor auf das Dach in San Masseo setzte. Bücher, die mich in meinem Theologiestudium begleiteten und die ich schon lange nicht mehr in meinem Bücherregal stehen habe, entdeckte ich hier wieder. Und schließlich die Tatsache, zwanzig Autominuten von der Stadt entfernt zu leben, zu der ich mich in den Jahren meines jungen Erwachsenenseins schmerzhaft sehnend von Deutschland aus hingezogen fühlte, die eine Weile brauchte, um langsam in das Bewusstsein einzusickern, dass dies nun tatsächlichen mein Leben ist und welcher Wandel sich augenblicklich vollzieht. Das, was vor einiger Zeit dem Bereich der Erinnerung zugehörte, war nun gegenwärtig und greifbar.
Wieder-Begegegnung – Kreise schließen sich
Ich entdeckte auch Spuren von Bruder Bernardino. Neben seinen Rundbriefen und den Erzählungen von Herbert waren es die Spuren, die er in meiner Erinnerung hinterlassen hat. Bernardino ist einer meiner ersten wichtigen spirituellen Lehrern und ich fühle große Dankbarkeit. Meine letzte Begegnung mit ihm lag mehr als 25 Jahre zurück. Ich besuchte ihn damals an seinem Rückzugsort bei Todi, wo er ein Sabbatjahr verbrachte, nachdem der Franziskanerorden ihn von San Masseo abgezogen hatte. Ich wusste von ihm, dass er eine Autostunde von Assisi entfernt ein vergessenes Kloster aus dem 11. Jahrhundert wiedergefunden hatte und dieses wieder aufgebaut hat. La Romita liegt auf einem Berg in der Nähe von Cesi fernab von öffentlichen Straßen, Strom- und Wasserversorgung und lediglich mit Geländewagen oder zu Fuß zu erreichen (http://www.la-romita.net/). In mir wuchs immer stärker der Wunsch, ihn wiederzusehen. An einem sonnigen Tag Anfang Januar machten wir uns auf den Weg, um La Romita zu finden. Ohne zu wissen, ob er zuhause ist und uns empfangen würde, wagten wir den Besuch. Die letzten 15 Minuten führten durch einen alten Steineichenwald und waren beschwerlich. Dann standen wir vor La Romita. Ein großer Gebäudekomplex, eine Kirche mit Kloster, mitten im Wald. Franziskus war hier gewesen und seit 1230 befand sich an dem Ort ein Kloster der Brüdergemeinschaft. Ein junger Mann empfing uns am Eingang und brachte uns in den Kreuzgang, wo wir Bernardino mit Gästen in der Sonne beim
Mittagstisch antrafen. Es war ein herzliches Wiedersehen. Es brauchte einen Moment, bis er mich wiedererkannte. Dann geschah eine Begegnung, die für mich einen weiten Bogen, der sich über 35 Jahre meines Lebens spannt, zu einem Kreis schloss. Wir sangen gemeinsam das „Com’e bello“, ein Lied, das ich so sehr mit der Lebensfreude und Atmosphäre von San Masseo verbinde und im Singen erschien es mir für einen Moment, als ob sich die Grenzen der Zeit auflösten und eine Verschmelzung stattfände, in der sich versprengte Moleküle wiederfinden und sich zu einer neuen Materie verbinden. Es war eine große Freude, Bernardino zu treffen. Seine Geschichte von La Romita zu hören und seinen Mut, sein Vertrauen und seine Radikalität zu spüren, ermutigte uns, mit Vertrauen unseren Weg weiterzugehen
Die Geschichte geht weiter (März 2018)
Nachdem wir 15 Monate Terra Buona hüteten, dort lebten und Erfahrungen mit dem Projekt gesammelt hatten, hielten wir inne, um die Erfahrungen auszuwerten. Der weite Bogen, den wir zu spannen hatten zwischen Simonswald, dem einen Ort unseres Lebens, an dem vorwiegend unsere Arbeit stattfindet und Terra Buona, unserem neuen Lebensmittelpunkt, zeigte sich als ein anstrengendes Unterfangen. Zum einen stellte sich die Notwendigkeit, während unserer Abwesenheit für den jeweils verwaisten Ort eine Hüterin oder einen Hüter zu finden, die/der in unserem Sinne die Gebäude und das Leben verantwortlich verwaltet, als eine mit einigen Schwierigkeiten verbundene Herausforderung dar. Zum anderen erlebten wir aber auch die Grenzen unserer Vision, die ihr Zentrum in der Idee hatte, Menschen an unserem Leben auf Terra Buona teilnehmen zu lassen und mit ihnen in Gemeinschaft zu leben. Wir mussten uns eingestehen, dass wir doch mehr Privatraum als Einzelne und als Familie brauchen, als wir vermuteten. Das Experiment, Menschen so nah in unsere Räume zu lassen, dass wir kaum noch Rückzugsorte hatten, hat uns gezeigt, dass unser Konzept einer Korrektur bedarf. So haben wir uns nun Anfang 2018 entschlossen, das Jahr von Terra Buona in Zeiträume einzuteilen, von denen wir nur einige öffentlich zur Verfügung stellen. Diese Zeiten, zu denen wir einladen, werden wir nun auch in Form von thematisch ausgerichteten Retreats gestalten, an denen bis zu 8 Personen teilnehmen können. Es wird Retreats geben, in denen das Leben und der von Franziskus im Zentrum der Betrachtung stehen, Tage, die so gestaltet sind, dass die gemeinsame Stille und Meditation im Vordergrund stehen oder auch die Begegnung mit Engeln oder den Kräften des indianischen Medizinrades. Damit steigen wir in eine neue Runde des Experimentes „Terra Buona“ ein.
Die Quellen werden zum Fluß
Jetzt fühlt sich unser Start von Terra Buona komplett an. Für mich ist es wichtig, die eigenen Lehrer und Menschen, die zur Inspiration beigetragen haben, zu würdigen. Bernardino gehört zweifelfrei dazu. Die Inspiration für Terra Buona und die Gestaltung des Projektes ist aus seinem Impuls, in den 70er Jahren San Masseo aufzubauen, entstanden. Wir führen eine geistliche Bewegung fort, die über ihn hinaus weist und bis zu Franziskus reicht und sich noch weiter zurück auf Jesus und seine spirituellen Wurzeln beruft. Und zugleich fließen alle weiteren Einflüsse mit in das Projekt ein, die in den letzten Jahrzehnten Anregungen zu unserer Entwicklung gegeben haben:
Und Buddha und sein Erleuchtungsweg, vor allem die Tradition des Zen und den tibetischen Vajrajana-Buddhismus;
die schamanische Sicht auf die Welt mit den Ritualen zur Verbindung mit den geistigen Kräften des Kosmos;
die Tiefenökologie, die ich vornehmlich durch Joanna Macy gelernt habe, mit der ich drei tiefenökologische Konferenzen in Assisi veranstaltete;
die Gestalttherapie, durch die mir ein tiefes Vertrauen in die immanenten Heilungskräfte des Lebens vermittelt wurde und die ich seit 1993 praktiziere und lehre;
Paul Lowe, an dessen Seminaren ich einige Jahre teilnahm und durch den ich den Wert von radikal ehrlichem Austausch kennengelernt habe und seither als unverzichtbare Grundhaltung in meinen Beziehungen lebe. Paul habe ich eine profunde innere Befreiung von alten Limitierungen zu verdanken;
Meister Eckehart, der christliche Mystiker, über dessen Werk ich meine theologische Diplomarbeit geschrieben habe und der mich den Bogen von der christlichen Mystik zur östlichen Spiritualität leichter schlagen lies;
unsere dreijährige Reisezeit als Familie, die wir zur Hälfte in Indien verbrachten, gab mir Raum und Zeit mich meinem Sohn und der Stille zu widmen.
Diese Einflüsse und noch vieles mehr, meist verbunden mit besonderen Begegnung, lassen gemeinsam mit uns dieses soziale Kunstwerk entstehen, das wir Terra Buona nennen.